Ruinen schaffen ohne Waffen
Die Altstädte in der DDR ähnelten sich: marode Bausubstanz, fehlende Farbe und bröckelnde Fassaden. Wenn ein diskreter Blick in die Treppenhäuser oder Hinterhöfe ermöglicht wurde, bot sich dort das gleiche Bild. Grund war nicht der Mangel an Einsatz oder gar ein Desinteresse an Gebäuden, es war schlicht das fehlende Material und fehlendes Geld für Sanierungsarbeiten.
Wie war es dazu gekommen? Die Weltwirtschaftskrise der 20er Jahre steigerte die Not der Menschen ins Unerträgliche. Noch vorhandenes Kapital wurde überwiegend in die Industrie investiert. Dort erbrachte es wesentlich mehr Rendite als der Wohnungsbau. Je knapper der Wohnraum wurde, desto größer wurden die Wut und Verzweiflung der Menschen. Die Einkommen reichten oft nicht einmal zum Überleben. In Berlin wehrten sich die Bedrängten mit einem Mietboykott, ganze Straßenzüge zahlten einfach keine Miete mehr. Und sie hatten Erfolg: Die Mieten wurden drastisch herabgesetzt.
„Der Hauseigentümer, der unbarmherzig und skrupellos arme Volksgenossen um Nichtigkeiten willen obdachlos macht, hat den Schutz des Staates in diesem seinem Treiben verwirkt.“ Diese Aussage würde man auf den ersten Blick nicht der NSDAP zuschreiben, doch es war Hermann Göring, der das Leid der Bevölkerung für sich zu nutzen wusste. Die radikale Lösung waren die Gesetze von 1936, die die Mieten auf dem bestehenden Niveau einfroren, etwas später folgte auch der Preisstopp für Waren und Güter. Diese Rechtsordnung hatte über den Zweiten Weltkrieg hinaus Bestand. Weder die sowjetischen Besatzer noch die spätere DDR-Führung hatte den Mut, die Mietpreispolitik anzutasten.
Doch ohne Mieteinnahmen gab es keine Möglichkeit zu investieren und so war kein Erhalt der Bausubstanz, keine Sanierung, Modernisierung oder Reparatur möglich.
So kostete der Quadratmeter zu DDR-Zeiten in der Regel 50 Pfennig – 90 Pfennig waren die Obergrenze. Weil Vermieter keine Erhöhung der Mieten vornehmen konnten, sank für die Mieter der Anteil der Miete am Haushaltseinkommen auf durchschnittlich 4% im Jahr 1960. Derweil verfiel die Altbausubstanz. Doch ohne Mieteinnahmen gab es keine Möglichkeit zu investieren und so war kein Erhalt der Bausubstanz, keine Sanierung, Modernisierung oder Reparatur möglich. Das Mietenparadies der DDR wurde zum Mythos und die Wohnungsversorgung zur Achillesferse des Regimes.
Auch Magdeburg wurde im Zweiten Weltkrieg zu großen Teilen zerstört. Geschädigte Häuser wurden zunächst provisorisch repariert. Doch niemand konnte ahnen, dass dieses Provisorium zum Dauerzustand werden sollte. Rolf Krüger schildert sehr eindrücklich, wie ihm und seinem Vater die Hände gebunden waren. Sie mussten zuschauen, wie die von ihnen verwalteten Gebäude immer weiter verfielen. Selbst wenn kleine Rücklagen vorhanden waren, war es unmöglich, an geeignetes Baumaterial zu kommen. Die seitenlangen Anträge bei den Behörden liefen ins Leere, es gab weder Material noch die erforderlichen Handwerker. Selbst wenn ein Eigentümer sein Haus hätte instand setzen wollen, war es zum Bespiel nicht möglich, einen Kredit mit genügend Geld aufzunehmen, Kredite nur in Höhe des nominellen Vorkriegswertes vergeben wurden. Wenn etwa ein Haus 1932 für 12.000 Mark gekauft wurde, durfte somit auch nur ein Kredit in Höhe von 12.000 DDR-Mark aufgenommen werden. Für diese Summe konnte man in den 70er oder 80er Jahren kein neues Dach bezahlen, nicht einmal ein halbes. Die Situation war immer wieder eine Zerreißprobe für die Firma Krüger Immobilien.
Angesichts der desolaten Zustände der Altstädte, dem Verfall der Substanz oder gar dem flächenhaften Abriss historischer Gebäude wurde die Spott-Parole „Ruinen schaffen ohne Waffen“ zur gängigen Redewendung. Eine trockene, warme und sichere Wohnung blieb für viele Bürger ein Wunschtraum.